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Freiwillige Selbstkontrolle

Thomas Meinecke (voc, g, corn, perc, dr) 
Justin Hoffmann (g, org, syn, p, acc) 
Michaela Melián (vi, b, g, org) 
Wilfried Petzi (g, man, ban, trom) 
Carl Oesterheldt (dr)

Die Freiwillige Selbstkontrolle ist eine Avantgarde-Band und – mehr oder weniger – ein musikalisches Forschungsprojekt. So läßt sich der Titel der 81er EP 'Teil- nehmende Beobachtung' als programmatisch ansehen, zumal die Gruppe sowohl europäische Musiktraditionen als auch House und Rhythm & Blues in die eigene Musik mit einfließen ließ. Normalerweise steht 'FSK' für die Freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft in Wiesbaden, die für die Altersfreigabe von Filmen zuständig ist. In Anlehnung an diese Insti- tution gründen 1980 Justin Hoffmann, Thomas Meinecke, Michaela Melián und Wilfried Petzi in München in einem aufkommenden Punk-, NDW- und New Wave-Umfeld die Band F.S.K. Alle vier Multi- Instrumentalisten und Sänger gehörten damals dem Untergrund- Magazin 'Mode und Verzweiflung' (1978 bis 1986) an. Der Gründungsmythos wurde in einer Ausgabe 1981 aufgeschrieben: "Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie. Das nennen wir 'Frei- willige Selbstkontrolle'". Musik galt den Mitgliedern der Band seitdem als eine Form der Artikulation, mit der eine größere Aufmerksamkeit zu erzielen ist als mit einem wissenschaftlichen Text. Ihre ästhetischen Vorbilder reichten von Kraftwerk über Velvet Underground bis hin zu Roxy Music.

Die Mitglieder der F.S.K. lehnten jedwede Authentizität ab und interessierten sich vor allem für kulturelle Brüche. Sie verwei- gerten sich aus ästhetischen Gründen, die in ihrer Lesart auch politisch waren, allen Angeboten großer Plattenfirmen, die im Zuge der NDW- Euphorie in den frühen 1980er Jahren auch an ungewöhnliche Bands herantraten. GleichimGründungsjahrerschienalsDebütdieselbstbetitelteEPauf |47 dem Hamburger Label ZICKZACK von Alfred Hilsberg – dem "Paten des deutschen New Waves" ('Munzinger'). In Hamburg bestritten sie auch ihr erstes Konzert in der Markthalle, gefolgt von einer Tournee durch die Schweiz, Österreich und die Niederlande. "Ihr Auftritt war das beste Pop-Konzert des Jahres. Die Livemusik von F.S.K. besaß erst- mals etwas lang Vermißtes, bei deutschen Gruppen vielleicht noch nie Dagewesenes: Schönheit, ein Gefühl des Verlustes, und der Kampf das Verlorene wiederzufinden, Trauer. Die Songs rührten an, nicht auf sentimental-abgeschmackte Art, sondern als reine, wahre Aussagen: Dieses Konzert war ein poetisches Ereignis" ('Süddeutsche Zei- tung').

Ein Jahr später folgte mit 'Teilnehmende Beobachtung' die zweite EP, gefolgt vom Debüt- Album 'Stürmer', das auch international Beachtung fand, denn es konnte sich in den Inde- pendent-Charts in San Francisco platzieren. Durch den "ursprünglichen musikalischen Ansatz von F.S.K – also die Dialektik deutscher Liedtradition elektronisch zu untermalen – klas- sifizieren sich die Münchner als 'Intellektuellen-Ensemble', das für die deutsche Intelligenz musiziert" (Diedrich Diederichsen). Anfänglich war noch deutlich der musikalische Einfluß des Punks zu erkennen, denn der Sound klang rauh und der Gesang sehr schroff. 1985 lud die britische Radiolegende John Peel die Gruppe zu einer der ersten legendären Peel Sessions nach London ein, der noch sechs weitere folgen sollten. Die Freiwillige Selbstkontrolle avancierte zu Peels erklärter deutschen Favoritenband und zu der nicht-britischen Band mit den meisten Peel Sessions. Auch die englischen Musik- medien, allen voran der 'New Musical Express' und der 'Melody Maker', förderten das Interesse an der Band. Britische Radiosender verschafften ihnen Airplay, und in den Staaten nahm das New Yorker Indie-Label RED RHINO die Band unter Vertrag.

Ende der 80er entwickelte sich die Freiwillige Selbstkontrolle zu einer Institution für musi- kalische Amerikastudien und beschäftige sich verstärkt mit "elektrifiziert-gebrochener, zeit- genössischer transatlantischer Folklore" (Pressetext) – angeregt vor allem durch die englische Punk-Band The Mekons. So sollte versucht werden, die Wurzeln der deutschen Musik in den USA zu erforschen und nach Deutschland zu reimportieren. Das besondere In- teresse galt eine zeitlang dem "Blue Yodel", sozusagen die US-Version des Jodelns. 1989 gab die Band ihr erstes Konzert in Ost-Berlin. Später arbeiteten sie mit dem Musiker und Produzenten David Lowery (ex-Camper Van Beethoven, ex-Cracker) zusammen und spielten mehrfach in den USA. Die F.S.K., die sich aus ästhetischen Gründen lange gegen einen Schlag- zeuger gewehrt hatte, verpflichte 1990 Carl Oesterhelt als etat-mäßigen Trommler.

Mitte der 90er Jahre wandte sich die Band der Minimal-, House-, Techno- und Elektronic-Musik zu. Aber auch dort ging es nicht um Imitation der Musik-Genres, sondern um die Betonung der Brüche und Dekonstruktion vorgegebener Muster. Im Mai 2012 erschien ihr bislang letz- tes Album 'Akt, eine Treppe hinabsteigend' für das Plattenlabel BUBACK. Alle Mitglieder der Freiwilligen Selbstkontrolle waren/sind neben der Musik noch anderweitig tätig, Meinecke als Schriftsteller und als Radiomoderator für den 'Zündfunk' des Bayerischen Rundfunks, während seine Ehefrau Michaela Melián als Bildende Künstlerin arbeitete und ab 2010 als Professorin für zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg tätig war. Justin Hoffmann wurde Direktor des Kunstvereins Wolfsburg und Wilfried Petzi Kunstfotograph. Oesterhelt war später Keyboarder bei den Merricks, beim Tied And Tickled Trio und zuletzt bei Ms. John Soda.

Burghard Rausch 

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